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Street Photograph auf dem rechtlichen Prüfstand

01.04.2015

veröffentlicht in Profifoto – Magazin für professionelle Fotografie – 4/2015

Deutsche Gerichte befassen sich derzeit mit der Rechtmäßigkeit von „Street Photographie“. Die Entscheidungen könnten weitreichende Folgen und einen starken Hemmeffekt für die künstlerische Straßenfotografie haben.

Die Straßenfotografie ist ein rund 100 Jahre altes Genre. Der Fotograf fängt spontane Momente des urbanen Lebens und Treibens auf der Straße ein. Er fotografiert Menschen oder Passantengruppen, die sich in Alltagssituationen befinden und ihrem täglichen Leben nachgehen. Die Motive sind ungeschönt und ungestellt. Sie halten Momente, Milieu, Sequenzen oder Bewegungsabfolgen fest, schaffen so ein Bild der Kulturgeschichte und geben Einblick in das Alltagsleben auch früherer Epochen. Die fotografierten Personen sind dabei meist in die jeweilige Situation versunken, fühlen sich unbeobachtet und bemerken nicht, dass sie gerade zum Subjekt einer solchen Momentaufnahme werden.

So war es auch in einem Fall gewesen, den das Landgericht Berlin (Urteil vom 03.06.2014, Az. 27 O 56/14) zu entscheiden hatte:

Ein Fotograf fotografierte im Berliner Stadtteil Charlottenburg von dieser unbemerkt eine Passantin. Sie trug ein Kleid mit Schlangen-Print, in der einen Hand eine Plastiktüte, in der anderen ein schicke Designertasche, Lapislazuli-Schmuck und lackierte Fingernägel. Im Hintergrund waren Fensterfassaden, Werbetafeln, Straßenschilder und ein Pfandhaus zu sehen. Die Aufnahme wurde sodann während einer unentgeltlichen Open-Air-Ausstellung u.a. auf einer übergroßen Ausstellungswand gezeigt.

Die Passantin wurde auf das Bild aufmerksam und verklagte den Fotografen sowie die ausstellende Galerie. Sie sah in der Veröffentlichung ihres Fotos eine schwere Persönlichkeitsverletzung und berief sich auf ihr Recht am eigenen Bild. Schließlich sei durch die unbemerkte Aufnahme schwerwiegend in ihre Privatsphäre eingegriffen worden. Zudem werde ein negatives Bild von ihr gezeichnet. Denn aufgrund des Pfandhauses im Hintergrund spekuliere der Betrachter, was sie dort wohl versetzt habe. Hinzu komme ihr mürrischer Gesichtsausdruck und der unvorteilhafte Faltenwurf ihres Kleides im Bauchbereich. Eine nicht mehr überschaubare Anzahl von Menschen habe so über ihr Aussehen diskutieren und spotten können. Sie sei zum bloßen  Ausstellungsobjekt degradiert worden, weil sie zum beliebigen „Anglotzen“ den in Scharen vorbeilaufenden Passanten wochenlang zur Schau gestellt worden sei. Sie habe daher ein tiefes Gefühl des Ausgesetztseins empfunden. Auch habe der Fotograf nach Anfertigung des Schnappschusses ganz bewusst keine Einwilligung zur Veröffentlichung bei ihr eingeholt, da er bereits erahnt habe, dass sie ihm diese verweigern würde.

Der Fotograf hingegen vertrat die Position, die Veröffentlichung sei gerechtfertigt, da sie dem höheren Interesse der Kunst diene und er deshalb auch keine Einwilligung der Klägerin habe einholen müssen. Er sehe sich in der Tradition der Vertreter der sog. „Street Photography“, bei der in besonderer Weise die eigene Sichtweise des Fotografen auf seine Umwelt und die sich in ihr bewegenden Individuen zum Ausdruck komme. Er habe mit seinem Werk gerade nicht ein bestimmtes Individuum porträtieren, sondern eine Ortsbeschreibung vornehmen wollen. Es sei ihm nicht um die Abbildung konkreter Persönlichkeiten gegangen. Vielmehr habe die im Foto manifestierte Atmosphäre eine Allegorie Charlottenburgs liefern sollen. Die gesamte Bildkomposition sei für die Wirkung der Aufnahme entscheidend und nicht die konkrete Persönlichkeit der Klägerin. So knüpfe ihr Lapislazuli-Schmuck an andere Blautöne der Umgebung an. Der Farbton ihres Schmucks sowie ihrer Fingernägel harmoniere mit dem Blau der Straßenschilder, der kühlen Fensterfassaden und einiger Werbetafeln. Die Heterogenität Charlottenburgs werde dazu in symbolischer Weise dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Klägerin in der einen Hand eine Plastiktüte und in der anderen eine schicke Designertasche trage. Der Betrachter könne darüber hinaus das Schlangenmuster des Kleides als einen Hinweis zum nahen Charlottenburger Zoo verstehen. Er so habe ein Kaleidoskop der Gegensätze zeigen wollen, bei dem sich reich und bitter arm begegnen, die Vergnügten an den Verzweifelten vorbeieilten und die glamouröse Seite des Westens in die Grausame umschlage.

Hier stehen sich zwei konträre Rechtspositionen gegenüber, die im seit 1907 bestehenden Kunsturheberrechtsgesetz (KUG) geregelt sind:

Einerseits besagt das Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG), dass Bildnisse von Personen grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen.
Neben wenigen anderen Ausnahmen ist ausnahmsweise eine Einwilligung des Abgebildeten dann nicht erforderlich, wenn  es sich um ein Bild handelt, das nicht auf Bestellung angefertigt wurde und dessen Veröffentlichung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient (§ 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG) – es sei denn, die berechtigten Interessen des Abgebildeten sprächen dagegen (§ 23 Abs. 2 KUG).
Es stehen sich also Persönlichkeitsrecht einerseits und Kunstfreiheit andererseits gleichwertig gegenüber, ohne dass von vornherein einem Recht der Vorrang gegenüber dem anderen eingeräumt würde. Sodann findet eine komplexe Abwägung der Interessen zwischen Abgebildetem und Künstler statt, die sich immer an den vielseitigen Parametern des Einzelfalls misst. Grundsätzliche Regeln, unter welchen Umständen das Persönlichkeitsrecht überwiegt oder wann die Kunstfreiheit den Vorrang hat, lassen sich daher nicht aufstellen. Über diese Rechtsabwägung streiten die Parteien meist vor Gericht. Jedoch führt gerade die in § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG geregelte Kunstfreiheit ein Schattendasein in der Rechtsprechung. Denn Urteile dazu gibt es kaum. Dies beruht mutmaßlich darauf, dass die Regelung des § 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG weitgehend unbekannt sein dürfte. Die wenigen, die diese Vorschrift kennen, werden aufgrund der komplexen Interessenabwägung auf die Unsicherheit des Ausganges eines solchen Rechtsstreits hinweisen und kaum Erfolgsprognosen wagen. Schließlich sind die nicht zuletzt wegen der wenigen existierenden Urteile zu diesem Thema kaum möglich.

Das Gericht entschied hier, dass die berechtigten Interessen der Klägerin gegenüber der Kunstfreiheit überwiegten und die Kunstfreiheit zurückzutreten habe. Denn sie sei zwar in einem öffentlichen Straßenraum, jedoch in einem rein privaten Lebensvorgang ohne Öffentlichkeitsbezug fotografiert worden. Durch die Präsentation ihres überlebensgroßen Bildnisses auf einer Plakatwand sei sie über Wochen der Öffentlichkeit präsentiert und aus ihrer Anonymität herausgerissen worden, was der Klägerin peinlich war. Infolgedessen sei sie durch die Aufnahme schwerwiegend in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. Mit den Interessen des Fotografen und der Kunstfreiheit, setzte sich das Gericht hingegen überhaupt nicht auseinander. Dies veranlasste ihn auch Berufung gegen das Urteil einzulegen. Nun hat das Kammergericht Berlin das Urteil zu überprüfen und zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen Straßenfotografie in Deutschland rechtlich zulässig ist.

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